Fasziniert versuche ich zu ergründen, was für kleine Apparate im Supermarkt direkt neben dem Eingang hängen. Oben drüber ein Bildschirm, der Erläuterungen gibt – in Flämisch, denn ich bin in Brügge, in einem belgischen Supermarkt. Irgendwann habe ich das System begriffen: Die Kunden scannen selbst und zwar während sie einkaufen gehen. An der Kasse kommen sie dann mit vollem Einkaufswagen oder Tüte an und übergeben der Kassiererin den Scanner, die nun nur noch das Geld einkassiert. Damit das System funktioniert, muss den Kunden einerseits – via Bildschirm und Erläuterungen – erklärt werden, wie sie scannen bzw. was sie tun müssen, wenn z.B. ein Nachlass abgezogen werden muss. Andererseits hängen über der Kasse große Schilder, die betonen, dass sich der Markt Überprüfungen vorbehält. Klar: Die Verführung, den einen oder anderen Artikel zu „vergessen“, könnte ja groß sein.
Es gibt noch Kassen, an denen Verkäuferinnen scannen, doch das neue System wird rege genutzt.

Wieso machen wir das mit? Wieso machen wir die Arbeit und sorgen selbst dafür, dass immer mehr Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren? Das ist offensichtliches Ziel: Personal einsparen. Die Zeit, die die Verkäuferin braucht, alle Waren über den Scanner zu ziehen, wird zukünftig von uns aufgewendet. Wir werden zu Mitarbeitern des Supermarktes – und auch als solche behandelt.

Ich glaube, dass es kindliche Regungen sind, die uns verführen – ohne dass uns bewusst ist, welcher Entwicklung wir durch unser Tun Vorschub leisten. Es ist wie „Kaufladen spielen“ – jetzt dürfen wir mal. Oder sind Sie der Lust, das Scannen selbst auszuprobieren noch nie erlegen? Selbst Ware wiegen. Selbst das schönste Obst aussuchen. Wir machen gerne selbst und suchen gerne selbst aus. Wir lieben es, selbst zu bestimmen. Ist das nicht wunderbar?

Nicht nur. Am Ende sind wir die Verlierer:
* Unser Supermarkt-Einkauf dauert länger, denn nun müssen wir die Ware auch noch scannen.
* Wir finden immer weniger Ansprechpartner, denn es gibt immer weniger Menschen im Supermarkt. Diese haben auch keine Zeit mehr zu sprechen. Ist einen Moment an der Kasse nichts zu tun, müssen sie aufspringen und Ware einräumen.
* Alle, die das neue System nicht kennen und nicht beherrschen – z.B. Ältere, Kinder, Ortsfremde – werden nach einer Übergangszeit nicht freundlich begleitet, sondern eher genervt überwacht.

Waren Sie mal bei Ikea an einer der Scanner-Kassen? Da steht in Dragoner-Pose eine Mitarbeiterin, die kritisch kontrolliert, ob Sie auch alles richtig machen. Wenn Sie nicht schnell genug sind, wenn Sie sich ungeschickt anstellen oder etwas nicht wissen, bekommen Sie Anweisungen – aber nicht freundlich (Eigentlich sind Sie ja Kunde!), sondern eher so, als wenn Sie der neue Auszubildende seien, der sich dämlich anstellt.

Haben Sie schon mal in einem der Supermärkte, in denen man Obst und Gemüse selbst auswiegen muss, das Wiegen vergessen – oder weil sie sonst in andere Supermärkte gehen, wo man eben NICHT wiegen soll, schlicht nicht gewusst, dass sie es HIER tun sollen? Auch dann riskieren Sie genervte Blicke und Ungeduld seitens der Kassiererin oder von denen, die wegen Ihnen länger warten müssen.

Häufig ärgere ich mich auch über die Abschaffung des zweiten Packbandes an den neuen Kassen. Aldi hat damit angefangen, uns zu schnellem Einpacken zu erziehen. Wir sind die Schwachstelle in den kostenoptimierten Abläufen. Wir sollen uns gefälligst beeilen, damit der Vorgang nicht so lange dauert. Wie kann man uns dazu bewegen, uns nicht so viel Zeit zu lassen? Wir sollen uns nicht aufhalten, mit der Kassiererin ein Schwätzchen halten und gemütlich einpacken, sondern unsere Einkäufe schnell weg packen, gehen und jemand anderem Platz machen.

Wie gelingt das? Indem es schlicht keine Möglichkeit gibt, sich Zeit zu lassen. Sozialkontrolle üben dabei nicht nur die Mitarbeiter aus – die Ungeduld der anderen Wartenden, wenn wir nicht schnell genug sind, zwingt uns zu Hektik. Oder können Sie sich dem entziehen und in aller Seelenruhe Ihre Sachen in Taschen packen? Fühlen Sie sich nicht genötigt, in Windeseile alles in den Wagen zu werfen? Und wehe, Sie haben Taschen dabei und möchten alles liebevoll in die eine oder andere packen. Dafür ist nun wirklich keine Zeit.

Im Namen der Kostenersparnis und verleitet durch unseren Spieltrieb machen wir all das mit – am Anfang haben wir ja noch die Wahl. Es ist nur ein Test. Wir werden nur eingeladen. Über kurz oder lang aber werden parallele Systeme abgeschafft. Dann müssen wir mitspielen. Neue Selbstverständlichkeiten sind geschaffen. Den Extragewinn streichen die Betreiber der Supermarkt-Ketten ein. Günstiger kaufen Sie deshalb auf Dauer nicht ein.

Gibt es auch Positives zu lernen für Neugründer, Solo-Selbständige, Kleinunternehmer und zukünftige UnternehmerInnen mit größeren Ambitionen?

In Sachen Service ist viel Luft nach oben.

Das Bedürfnis von Kunden mitzumachen und selbst zu gestalten, kann zum Ausgangspunkt spannender Geschäftsideen werden. Es hat auch etwas Demokratisches, selbst Hand anlegen zu dürfen. Vorausgesetzt beide Seiten profitieren. Der Koch, der seine Kunden mitkochen lässt, reagiert auf das gleiche Bedürfnis – ohne dass der Kunde am Ende der Depp in dem Ganzen ist.

Spannend ist es auch zu sehen, was Kunden alles zu tun bereit sind, wenn es ihnen Spaß macht. Wie effektiv ist Ihr Unternehmen organisiert? Nutzen Sie die Bereitschaft Ihrer Kunden mitzuwirken? Geben Sie Ihnen Handlungsmöglichkeiten?